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Doc. S. Freund: Ueber den Mechanismus der Zwangsvorstellung und
Phobien (Autoreferat). Der Vortr. bezieht sich kurz auf die herrschende Auf-
fassung der Zwangsvorstellungen, nach welcher dieselben als rein formale Störungen
im Bereiche des Vorstellens gelten, die ihre Intensität nicht psychologischen Motiven,
sondern physiologischen Gründen verdanken. Sodann schlägt er vor, die hieher ge-
hörigen Fälle in drei Gruppen einzureihen: 1. die Gruppe der traumatischen Zwangsvorstellungen. 2. die der eigentlichen Zwangsvorstellungen oder Ob-
sessionen. 3. die der eigentlichen Phobien. Die Fälle der ersten Gruppe seien
auszusondern, sie hätten die grösste Übereinstimmung mit hysterischen Symptomen,
seien als unveränderte Erinnerungsreste zu bezeichnen.Von den eigentlichen Zwangsvorstellungen sagt der Vortr., dass sie sich als
Vereinigung eines starken Affectzustandes mit einem Vorstellungsinhalt darstellen lassen,
der in vielen Fällen derart variire, dass das Hauptgewicht deutlich auf den
sich gleichbleibenden Affect fällt. Der Affect sei immer peinlicher Natur, die Vor-
stellung nicht recht zum Affect passend, so dass die Vereinigung dem Kranken selbst
einen absurden Eindruck mache. Doch sei der Kranke ohnmächtig, sich dieser Vor-
stellung zu erwehren. Die Erklärung des Zwanges, welchen letztere ausübt, sei
folgende: Der peinliche Affect sei jedesmal vollberechtigt; wer z. B. an Zwangs-
vorwürfen leide, der habe in der That guten Grund, sich einen Vorwurf zu
machen; die an den Affect geknüpfte Vorstellung sei aber nicht die richtige, die
ursprünglich mit dem Affect verbundene, sondern ein Substitut, ein Surrogat der-
selben.Die ursprüngliche, verdrängte Vorstellung lasse sich demnach jedesmal nach-
weisen und zeige folgende Eigenthümlichkeiten: Sie stamme aus dem sexualen Leben
des Kranken, sei peinlicher Natur und passe vortrefflich zu dem in der Zwangs-
vorstellung erhalten gebliebenen Affect. Die Wiedereinsetzung der verdrängten Vor-
stellung in die Beziehungen, die vor dem Auftreten der Zwangsvorstellung be-
standen, sei häufig auch eine therapeutische Leistung, welche der Zwangsvorstellung
ein Ende bereite oder wenigstens einen Hinweis auf die erforderliche Therapie gebe.Der Vortr. sucht diese Sätze durch die Mitteilung von mehr als zwölf Fällen von Zwangs-
vorstellung zu beweisen, in denen er die Aetiologie feststellen und die verdrängte
Vorstellung wieder einsetzen konnte. Ueber die Technik, welche zur Auffindung der
verdrängten Vorstellung führt, äussert er sich nicht. Er sucht die drei Fragen zu
beantworten, die sich aus dem Mitgetheilten ergeben: 1. Wie ist es möglich, eine
solche Substitution (der verdrängten Vorstellung durch die Zwangsvorstellung) vor-
zunehmen? 2. Zu welchem Zwecke mag das geschehen? 3. Woher kommt es, dass
die substituirte Vorstellung unbestimmt lange erhalten bleibt? Auf die erste FrageS.
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ist zu erwidern, die Fähigkeit zur Substitution sei offenbar eine besondere psychische
Disposition, da sich so häufig bei Zwangsvorstellungen gleichartige Vererbung nach-
weisen lasse. Zur Beantwortung der zweiten Frage führt Vortr. an, die Substitution
erfolge wahrscheinlich zum Zwecke der Abwehr einer mit dem Ich unverträglichen
Vorstellung; endlich falleddas Problem der Fortdauer der Zwangsvorstellungen zu-
sammen mit dem Problem der Fortdauer hysterischer Symptome, und die von J. Breuer
und dem Vortr. hiefür versuchte Erklärung decke auch den Fall der Zwangsvor-
stellungen.Über die Gruppe der Phobien äussert der Vortr., dass sie sich von den Ob-
sessionen dadurch unterscheiden, dass der Affect, um den es sich handle, ein monotoner,
stets der der Angst sei, ferner durch ihre typischen Erscheinungsformen im Vergleiche
zur Specialisirung der Obsessionen.Nach ihrem Inhalte könne man die Phobien in zwei Gruppen eintheilen: 1. Die
der gemeinen Phobien oder Aengstlichkeiten vor Dingen, die auch normaler
Weise ein gewisses Mass von Angst wachrufen, wie: Gewitter, Finsterniss etc. Für
die übermässige Angst vor Krankheiten könne man den alten Namen der Hypochondrie reser-
viren. Auf moralischem Gebiete erscheine die Aengstlichkeit als Gewissensangst, Be-
denklichkeit, Pedanterie. 2. Die Gruppe der locomotorischen Phobien, als
deren Vorbild die Agoraphobie zu nennen ist. Dieser fehle der obsedirende Charakter.Der psychische Mechanismus der Phobien sei aber ein ganz anderer als der der
Obsessionen. Hier finde man bei psychologischer Analyse keine Substitution, keine
verdrängte Vorstellung, sondern stosse als Begründung der Phobie nur auf eine
psychisch nicht weiter reducirbare, auch durch Psychotherapie nicht zu beeinflussende
Angstneigung. Es handle sich nun darum, Aufschluss zu geben, woher diese Angst-
neigung stamme. Nach der Darstellung des Vortr. stelle sie das Hauptsymptom einer
von der Neurasthenie abuztrennenden Neurose, der „Angstneurose" dar deren sämmt-
liche Symptome als Stücke des Complexes „Angst" dargestellt werden können.Als häufiges Vorkommnis erwähnt der Vortr. die Combination von Obsession
und Phobie in der Weise, dass auf dem Boden der „ängstlichen Erwartung" zunächst
eine hypochondrische oder andere Phobie zu Stande komme und dass der Vorstellungs-
inhalt dieser Phobie eine Substitution erfahre. In der Regel wird die peinliche Vor-
stellung der Phobie substituirt durch die Schutzmassregel, welche ursprünglich zur
Abwehr der Phobie gewählt wurde.Gerade die bekanntesten als Folie de doute, Onomatomanie etc. beschriebenen
Formen fielen unter diesen Gesichtspunkt.Hofrat v. Krafft-Ebing demonstrirt im Anschlusse an diesen Vortrag einen
Kranken, dessen Zustand er als Basophobie bezeichnet. Derselbe ist seit einem
vor 3 Monaten erlittenen, heftigen Schock unfähig, frei zu gehen, da er bei jedem
Versuche von Angst befallen wird, hingegen ziemlich gut zu gehen vermag, wenn er
Stützpunkte in der Nähe sieht. Hermann Schlesinger (Wien).---
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